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Hieroglyphika & das Alte Ägypten: Frühmoderner Forscherdrang zum Selberspielen

Das Spiel Hieroglyphika lockt uns in Pyramiden voller Fallen, vergisst aber bald den Grund unserer Reise.

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Das Indie-Spiel Hieroglyphika erschien im Frühjahr 2016 und fordert uns in seiner geheimnisvollen Welt mit allerlei Fabelwesen, Monstern und Rätseln heraus. Doch in diesem Titel steckt noch weit mehr, als nur ein paar spielerische Kopfnüsse für die Mittagspause: Der Entwickler Markus Hanka wandelt mit Hieroglyphika auf den Spuren der größten Abenteurer der frühen Moderne.

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Howard Carter (1924)

Die Pyramiden des Alten Ägypten sind alte Bekannte und Dauergäste in unserem westlich geprägten Kulturkreis: Donald Duck, Asterix und Obelix erforschten die so fremdartig wirkenden Grabbauten bereits ebenso wie hunderte Filme, Romane und Touristen vor und nach ihnen. Viele dieser modernen Abenteuer ziehen ihre Inspirationen aus den Berichten einer Handvoll Forschern, die vor über 200 Jahren die ersten Pyramiden erkundeten. Einer von ihnen war Howard Carter, der nach einigen Fehlschlägen 1922 schließlich das berühmte Grab des Tutanchamun im Tal der Könige in West-Theben wiederentdecken konnte.

Nachdem er und seine Arbeiter zunächst auf eine Treppenstufe gestoßen waren und schließlich den kompletten, zugeschütteten Treppenaufstieg freilegen konnten, entdeckten sie einige unbeschädigte Siegelabdrücke, die den Totengott Anubis zeigten. Aufgeregt telegraphierte Carter nach diesem Fund seinem Sponsor Lord Carnarvon folgende Nachricht:

“Habe endlich wunderbare Entdeckung im Tal gemacht. Prächtiges Grab mit intakten Siegeln. (…) Gratulation.”

Es folgte die spektakuläre Erforschung und Dokumentation des heute so berühmten Grabes des Pharaos Tutanchamun, der im 14. Jh. v. Chr. im Kindesalter den Thron bestieg. Doch es gibt noch eine andere Seite dieser Ausgrabung, die es zu einer ebenbürtigen Berühmtheit neben der Arbeit der Forscher gebracht hat: Der Fluch des Pharao, der die zahlreichen Todesfälle im Forschungsteam Carters kurz nach Öffnung des Pharaonengrabs in einen gruseligen Zusammenhang stellte.

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Howard Carter untersucht das Grab des Tutanchamun.

Die Nachrichtenpressen der 1920er und 1930er Jahre überschlugen sich: Niemand anderes als Tutanchamuns Fluch selbst sei der Grund dafür gewesen, dass nicht nur Carters Kanarienvogel und Hund am Tag der Graböffnung gestorben seien, sondern auch sein Sponsor Lord Carnavon wenige Wochen später der Tod ereilte und es gleichzeitig zu einem stadtweiten Stromausfall in Kairo kam – und das ist nur ein Ausschnitt des vielleicht größten Medienrummels der frühen Neuzeit.

Eine Zeitungsausgabe vo 1930 Jahren berichtet über das neuste Opfer des "Fluch des Pharaos"
Eine Zeitungsausgabe von 1930 berichtet über das neuste Opfer des „Fluch des Pharaos“ und nennt ein Dutzend Namen bereits Verstorbener, die ebenfalls den Zorn des Alten Ägypten auf sich gezogen haben sollen.

Diese Geschichten über Flüche, mysteriöse Todesfälle, zum Leben erwachte Mumien und Wächtergötter, die Eindringlinge bestrafen, beschwingen Hand in Hand mit der bilderreichen und gleichsam exotischen Mythenwelt des Alten Ägypten nach wie vor die Geschichtenerzähler der Moderne. Und so schöpfte auch der Videospiel-Entwickler Markus Hanka mit vollen Händen aus diesem Vorlagenkatalog, um sich zu seinem Spiel Hieroglyphika inspirieren zu lassen, das mir dank des interessanten Grafikstils auf Anhieb ins Auge sprang.

Forscherdrang als Spiel-Vokabel

Hieroglyphika ist ein Roguelike Dungeoncrawler, schickt uns also durch zufallsgenerierte, unterirdische Anlagen, die an das Innere von Pyramiden erinnern sollen. Der offizielle Beschreibungstext lässt dabei keine Zweifel offen, aus welchen Geschichten der frühen Ägypten-Forschung der Entwickler seine Inspiration gezogen hat:

Ihr werdet euch in alten ägyptischen Pyramiden verlaufen, die tief unter Wüstensand verborgen sind und in denen sowohl Fallen wie auch Monster auf euch lauern. Entschlüsselt Hieroglyphen, um Zauersprüche zu erlernen und die magische Natur der gefundenen Artefakte zu verstehen. (…)

 

Öffnet Grabmäler oder tötet Feinde und ihr werdet Schätze finden. Attackiert die Toten mit Magie und verteidigt euch mit antiken Schilden. Stoßt eure Gegner in endlose Tiefen. Oder schlagt sie mit verzauberten Waffen nieder.

Seine größte Faszination zieht Hieroglyphika dabei aus der Perspektive des britischen Forschers, in die uns die Entwickler hineinversetzen und die konsequent beibehalten wird: Die Spielwelt, die wir betreten, soll uns ähnlich wie Carter damals vor zahllose Fragezeichen stellen, deren Entschlüsselung teil unseres Abenteuers ist.

So erklärt uns Hieroglyphika zu keinem Zeitpunkt seine Spielregeln, Waffen-Eigenschaften oder magischen Zauber, die wir finden und erlernen können. Selbst das Hauptmenü versteckt klassische Auswahlmöglichkeiten wie “Start” und “Optionen” hinter Piktogrammen, deren Bedeutung zunächst enträtselt werden muss.

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Fachkundige und Interessierte begutachten den Rosette-Stein während der Oriental-Kongresses im British Museum 1874.

Der Stein von Rosette wurde während der ägyptischen Expedition Napoleons 1799 entdeckt. Auf ihm befinden sich drei inhaltsgleiche Inschriften in altgriechischer, demotischer und hieratischer Schrift. Jean-François Champollion wagte sich gemeinsam mit einigen anderen Forschern anhand dieses Vokabel-Schlüssels an die Übersetzung der Hieroglyphen der hieratischen Schrift. Die Übersetzungsarbeit wurde im Jahr 1822 schließlich erfolgreich abgeschlossen und legte das Fundament für die Ägyptomanie der frühen Moderne.

Damit stellt sich Hieroglyphika als ein spielbarer Inbegriff des Try-and-Error-Prinzips heraus: Grenzen der eigenen Fähigkeiten müssen ausgetestet werden, die Platzierung der Fallen in den Levelabschnitten immer wieder neu auswendig gelernt und Eigenschaften der zahlreichen Gegner-Typen richtig interpretiert werden. Wer sich allerdings hierbei zu viel Zeit lässt, wird bald von besonders starken Kriegeraffen verfolgt, die nach einigen Runden am Level-Eingang auftauchen und uns vor sich hertreiben. Das macht zunächst einmal erstaunlich viel Spaß – lässt allerdings bald auch einen etwas seltsamen Beigeschmack zurück.

Kratzen an der Oberfläche

Hieroglyphika steckt uns in das Kostüm eines britischen Forschers inklusive Schnauzer samt Tropenhut und schickt uns auf Abenteuerfahrt in eine schier endlos große Grabstätte. Die Devise lautet: Wir gegen sie, der europäische Blaublut-Forscher gegen riesige Käfer, Schakale, Mumien und alles andere, was die altägyptische Popkultur-Truhe zu bieten hat. Was als spannende Herausforderung voller Unbekannten beginnt, entwickelt sich allerdings bald zu einem durchschaubaren und schließlich seichtem Grindfest.

Wir erfahren nichts über die Hintergründe der Wesen, die wir dank unserer wachsenden Erfahrung bald höchst effektiv bekämpfen, sondern ordnen sie weiterhin lediglich als starke oder schwache Gegner ein – wandelnde Loot-Haufen, die wir plündern oder auf dem Weg in den nächsten Level beiseite stoßen. Die Herangehensweise, wie uns Hieroglyphika an unser Abenteuer im Alten Ägypten heranführt, verlässt sich ganz auf unsere Neugierde und unseren Entdeckerdrang. Doch sobald wir die Strukturen des Spiels durchschaut haben, verliert das Abenteuer an Reiz, weil es schlichtweg nicht mehr als diese ersten Hürden und Fragezeichen zu bieten hat.

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Die Ladebildschirme zitieren lose die Bildsprache altägyptischer Kunst und erzählen von dem Pharao, der in der riesigen Grabkammer von Hieroglyphika begraben wurde.

Eine verpasste Gelegenheit, Hieroglyphika an diesem kritischen Punkt um eine neue Ebene zu bereichern, wären beispielsweise freischaltbare Texte, sonstige Info-Fetzen oder auch nur weitere Piktogramme, die die Mythologie und Herkunftsgeschichte unserer Gegner näher erläutern. Diese Hintergrundtexte würden unsere Lernerfolge, die wir auf der Gameplay-Ebene bald ausgereizt haben, mit neuem Kontext belohnen, der in dieser Spielwelt nach den ersten Spielstunden so dringend gebraucht wird.

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Als britischer Forscher, wie er im Klischee-Handbuch steht, durchstreifen wir Level um Level, bis jeder Sarkophag geöffnet und jedes fremdartige Wesen besiegt wurde.

Hieroglyphika atmet zwar den Abenteuergeist von Howard Carter & Co. und baut auf dem Fundament unserer Neugierde ein zunächst anspruchsvolles Spiel — dieses kann allerdings schlussendlich nicht weniger, aber leider auch nicht mehr bieten, als ein enorm eurozentrisches Grindfest.

Dom Schott hat Archäologie studiert und schreibt heute als freier Journalist besonders gerne über spannende Online-Communities, Netzkultur und seine zwei Kater.

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