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Am 12. August des Jahres 2000 ereignet sich in der Barentsee nördlich von Russland eine menschliche Tragödie: Im Torpedoraum des russischen Atom-U-Boots K-141 Kursk explodiert ein Wasserstoff-Leck, kurz darauf bricht ein Feuer aus. Innerhalb von Minuten greifen die Flammen auf die angrenzenden Räume über. Torpedos, deren Sprengköpfe immer weiter erhitzt werden, explodieren in den Munitionsräumen und reißen mehrere Löcher in die Innenwand des U-Boots. Sofort dringt das eiskalte Wasser des atlantischen Ozeans durch die zahlreichen Lecks ein und zieht das Gefährt auf eine Tiefe von fast 200 Metern Richtung Meeresgrund. Die Besatzung beginnt einen Überlebenskampf, der nicht gewonnen werden kann: Keiner der 112 Matrosen wird diese Katastrophe überstehen.
Das polnische Entwicklerteam Jujubee will nun diese tragische Geschichte zu einem Videospiel machen – ein interessantes Vorhaben, das umso erstaunlicher wirkt, wenn wir uns das Portfolio des Studios einmal näher ansehen: Hier entdecken wir vor allem Rennspiel- und Flugsimulationen, die ihre Spieler entweder an das Steuer originalgetreuer Boeings, oder auf den Sitz fantasievoller SciFi-Pods geklemmt haben. Unter den sieben Spielen sticht nur ein Titel deutlich heraus, Realpolitiks, ein von Civilization inspiriertes Strategiespiel, das die politischen und militärischen Konflikte der jüngeren Gegenwart in seinen Mittelpunkt rückt. Ambitionen auf ein Spiel wie KURSK, das nun schon seit über zwei Jahren in Arbeit ist, finden wir zumindest im Portfolio keine.
„Wir sind fest davon überzeugt, dass Spiele noch mehr können, als nur Freizeit auszufüllen.“
Als das Entwicklerteam einem Interview mit ArchaeoGames zustimmt, dreht sich daher auch gleich die erste Frage um diesen auffälligen Richtungswechsel: Warum hat sich Jujubee, Profis der Renn- und Flugsimulationen, nun dazu entschieden, ihre eigene Nische zu verlassen und ein Videospiel über eine konkrete, menschliche Tragödie zu machen, die gerade einmal knapp 18 Jahre zurückliegt? Die Antwort des Teams lässt sich leicht zusammenfassen: Einfach mal mehr aus dem Medium rausholen, als sie es in der Vergangenheit getan haben.
Die russische Kursk wurde in Zusammenarbeit mit einem historischen Berater möglichst detailgetreu digital nachgebaut. Im fertigen Spiel soll wir sie komplett frei erkunden dürfen (Bild: Jujubee)
„Videospiele sind mittlerweile ein weit verbreitetes Hobby, viele Entwickler buhlen um die Zeit ihrer Kunden. Und diese Zeit ist, wie wir alle wissen, begrenzt.“ Wenn sich Menschen dann ausgerechnet dafür entscheiden, ihre begrenzte, freie Zeit mit Videospielen zu verbringen, dann sollen sie davon auch den größtmöglichen Mehrwert erhalten – nur existiere der leider oftmals nicht, wie das Entwicklerteam weiter erklärt: „Viele der beliebtesten und erfolgreichsten Spiele konzentrieren sich darauf, einige wenige Mechaniken immer und immer wieder zu wiederholen, statt uns Spielern wirklich neue Dinge über das Spiel hinaus beizubringen, uns voranzubringen. Klar, es gibt auch Ausnahmen abseits des Mainstreams, aber die erfolgreichsten Spiele folgen oft einem sehr einfachen Schema.“
Sich selbst nehmen die Entwickler von dieser vermeintlichen Schuld nicht aus. Viel zu lange habe man sich darauf konzentriert, marktoptimierte Mechaniken in ein Spiel zu pressen – mit KURSK soll das alles aber nun ganz anders werden: „Wahre Geschichten können uns so viel mehr bewegen und beschäftigen, weil sie ganz ohne Metaphern oder eine Zwischenebene mit unseren realen Problemen verbunden sind.“ Und damit kommt Jujubee auf die vielleicht wichtigste Motivation zu sprechen, die das Team zu diesem neuen Projekt angestachelt hat: Sie wollen ihre Spieler ganz konkret über die Geschichte unterrichten, ihnen etwas beibringen – und sie im besten Fall auch zum Nachdenken anregen: „Wir hoffen, dass unser Spiel viele Fragen aufwerfen kann: Was passiert mit den Sprengköpfen, die sich in einem verunglückten U-Boot befinden? Wie sicher sind diese Gefährte heutzutage überhaupt? Und wie stehen sind die Überlebenschancen für die Besatzung im Fall eines Unglücks? Davon abgesehen glauben wir fest daran, dass sich die Menschen auch ganz einfach Lust darauf haben, von einem etwas anderem, ambitionierten Spiel gefesselt zu werden.“
Der Blick hinter die PR-Kulissen offenbart viele Ambitionen, aber auch viele Probleme
Mit seiner historischen Hintergrundgeschichte stellt KURSK seine Entwickler vor ein ganz grundlegendes Problem: Wollen sie das Schicksal der 112 russischen Matrosen wirklich so nacherzählen, wie es sich tatsächlich zugetragen hat, besteht für den Spieler keine Aussicht auf Erfolg, Sieg oder Triumph – egal was wir auch unternehmen, der virtuelle Bildschirmtod wäre uns sicher.
Im Laufe des Spiels sollen wir auch vor moralische Entscheidungen gestellt werden, die den Verlauf der Geschichte zumindest in Details beeinflussen. Auch mehrere alternative Enden soll es geben – wie genau die aussehen werden, verraten die Entwickler aber noch nicht (Bild: Jujubee)
Dieses Problem ist allerdings nur ein Scheinproblem, denn es eröffnet in Wirklichkeit ganz neue Möglichkeiten, mit der Erwartungshaltung des Spielers auf interessante Art und Weise zu brechen – oder eben eine Geschichte zu erzählen, die schlichtweg auf kein Happy End angewiesen ist. Viele Entwickler haben das bereits erfolgreich vorgemacht: Das Textadventure Trigger erzählt die Leidensgeschichte einer Frau, die sich mit einer posttraumatischen Belastungsstörung auseinandersetzen muss, Neverending Nightmares ist die spielbare Depressionsbewältigung seines Schöpfers und That Dragon, Cancer begleitet ein Elternpaar bei dem Abschied von ihrem krebskranken Kind. Keines dieser Spiele endet mit einem Level Up, Glückwünschen oder Ordensabzeichen und doch erzählen sie mitreißende, intime Geschichten, die zum Nachdenken anregen und den eigenen Horizont erweitern.
KURSK hingegen wählt einen anderen Weg, um mit dieser Herausforderung umzugehen: Hier wird der Spieler nicht etwa zu einem der 112 Matrosen, sondern übernimmt die Rolle einer ganz neuen Figur, die sich die Entwickler für dieses Szenario ausgedacht haben: Ein Spion. Was genau der an Bord des U-Boots anstellt und wie ganz grundsätzlich das Gameplay funktionieren soll, wollen die Entwickler noch nicht verraten. Dafür erklären sie im Interview, wieso wir ausgerechnet einen Geheimagenten spielen sollen: „Spieler wollen ein festes Ziel vor Augen haben, eine Herausforderung bestehen. Also haben wir den Spion als neue Spielfigur eingeführt – und das ist tatsächlich plausibler, als man vielleicht denken mag. In den späten 90-er Jahren waren Geheimdienste wie der CIA sehr interessiert an den hochmodernen russischen U-Boot-Prototypen. Die Russen überführten und verurteilen im Jahr 2000 sogar einen Mann namens Edmond Pope, der verdächtigt wurde, im Dienste der USA zu spionieren. Es ist durchaus denkbar, dass auch an Bord der Kursk ein solcher Agent war, der die atomaren Sprengköpfe des U-Bootes näher studieren wollte. Wie du sehen kannst, wurde unsere Geschichte stark von den tatsächlichen Ereignissen inspiriert.“
Es ist zweifellos ein schwieriges Terrain, auf dem sich das Entwicklerteam mit ihrem Projekt zu bewegen scheint: Auf der einen Seite will KURSK vom Untergang des gleichnamigen U-Boots erzählen, das Gedächtnis an die toten Matrosen erhalten und das Bewusstsein der Spieler für weiterführende Fragen schärfen. Auf der anderen Seite biegen die Entwickler die Geschichte soweit zurecht, um die vermeintlichen Bedürfnisse der Spieler befriedigen zu können: Herausforderungen bestehen, ein Ziel vor Augen haben. Eine Mission erfolgreich abschließen.
Zumindest ein Teil ihrer Zielgruppe, die russische Gaming-Community, schätzt diesen eigenwilligen Mix nicht sonderlich: Der Ankündigungstrailer des Spiels sorgt für viele wütende Kommentare, die den Entwicklern vorwerfen, das tragische Schicksal der U-Boot-Besatzung kommerziell auszuschlachten, viele wenden sich mit teils drohenden Emails auch direkt an die Entwickler selbst.
Die zeigen sich davon unterdessen recht unbeeindruckt: Manche Spieler seien einfach nicht bereit für das, was sie vorhaben, erklären sie gegenüber ArchaeoGames. Aber offenbar scheint sich das Team trotzdem der Zerrissenheit ihres Projekts bewusst zu sein – immerhin versuchen sie gar nicht erst, KURSK im Vorfeld als „Serious Game“, „historisch akkurat“ oder dergleichen zu bewerben, sondern bemühen stattdessen einen neuen Begriff: Die Adventure-Documentary, Abenteuer-Doku.
„Call of Duty oder Battlefield bringt dich als Mensch nicht weiter – unser Spiel schon.“
Mit dieser Genre-Wahl implizieren die Entwickler damit durchaus den Anspruch, über tatsächliche Begebenheiten in der Geschichte zu berichten – im Schulunterricht beispielsweise wollen sie ihr Spiel aber dann lieber doch nicht sehen, wie Jujubee auf Nachfrage erklärt: „Wir glauben nicht, dass Spiele als zentrales Medium im Schulunterricht etabliert werden sollten, (…) oder gar Bücher und echte TV-Dokumentationen ersetzen können. Letztere haben sich einfach bewährt. Und trotzdem können Videospiele etwas einzigartiges bieten: Sie können Spieler vor Entscheidungen stellen und sie die Konsequenzen ihrer Taten erleben lassen.“
Doch auch mit dieser Sichtweise bleibt die drängende Frage offen, wie wertvoll dieser Vorteil wirklich im konkreten Fall von KURSK wirklich sein kann, wenn wir hier in eine Rolle schlüpfen, die wohl gar nicht Teil der tatsächlichen Geschichte des tragischen Unglücks gewesen ist. Darauf will man uns aber nicht antworten.
Während ein Großteil des Spiels auf der Kursk selbst stattfinden wird, sollen wir auch die Gelegenheit bekommen, zwei weitere Schauplätze zu erkunden, die mit der Vergangenheit der Besatzung zusammenhängt (Bild: Jujubee)
KURSK wirft die interessante Frage auf, inwiefern uns Spiele über Geschichte unterrichten können und sollten – und wie mit der gefühlten Notwendigkeit umgegangen werden kann, historische Ereignisse und Prozesse mit Spielmechaniken zu vermengen. Andere Spiele stellten sich diese Frage freilich bereits lange vor KURSK: Das Adventure 1979 Revolution beispielsweise macht uns zum Zeitzeugen der Islamischen Revolution, das Strategie-Spiel RIOTlässt uns die wichtigsten Demonstrationen der jüngsten Weltgeschichte noch einmal neu inszenieren, das Rollenspiel Kingdom Come: Deliverance erhebt den Anspruch, das Böhmen des 15. Jahrhunderts abzubilden.
Und doch scheint sich noch immer kein durchgängiges Bewusstsein auf Seiten der Spielerschaft und auch der Mainstream-Presse dafür entwickelt zu haben, wie Videospiele unser Bild der Geschichte beeinflussen, bereichern, aber auch manipulieren zu können. Vielleicht kann KURSK diesen Stein endlich ins Rollen bringen – selbst dann, wenn das polnische Entwicklerteam möglicherweise die falschen Antworten auf die richtige Frage finden wird.
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Das polnische Entwicklerteam Jujubee will nun diese tragische Geschichte zu einem Videospiel machen – ein interessantes Vorhaben, das umso erstaunlicher wirkt, wenn wir uns das Portfolio des Studios einmal näher ansehen: Hier entdecken wir vor allem Rennspiel- und Flugsimulationen, die ihre Spieler entweder an das Steuer originalgetreuer Boeings, oder auf den Sitz fantasievoller SciFi-Pods geklemmt haben. Unter den sieben Spielen sticht nur ein Titel deutlich heraus, Realpolitiks, ein von Civilization inspiriertes Strategiespiel, das die politischen und militärischen Konflikte der jüngeren Gegenwart in seinen Mittelpunkt rückt. Ambitionen auf ein Spiel wie KURSK, das nun schon seit über zwei Jahren in Arbeit ist, finden wir zumindest im Portfolio keine.
Als das Entwicklerteam einem Interview mit ArchaeoGames zustimmt, dreht sich daher auch gleich die erste Frage um diesen auffälligen Richtungswechsel: Warum hat sich Jujubee, Profis der Renn- und Flugsimulationen, nun dazu entschieden, ihre eigene Nische zu verlassen und ein Videospiel über eine konkrete, menschliche Tragödie zu machen, die gerade einmal knapp 18 Jahre zurückliegt? Die Antwort des Teams lässt sich leicht zusammenfassen: Einfach mal mehr aus dem Medium rausholen, als sie es in der Vergangenheit getan haben.
„Videospiele sind mittlerweile ein weit verbreitetes Hobby, viele Entwickler buhlen um die Zeit ihrer Kunden. Und diese Zeit ist, wie wir alle wissen, begrenzt.“ Wenn sich Menschen dann ausgerechnet dafür entscheiden, ihre begrenzte, freie Zeit mit Videospielen zu verbringen, dann sollen sie davon auch den größtmöglichen Mehrwert erhalten – nur existiere der leider oftmals nicht, wie das Entwicklerteam weiter erklärt: „Viele der beliebtesten und erfolgreichsten Spiele konzentrieren sich darauf, einige wenige Mechaniken immer und immer wieder zu wiederholen, statt uns Spielern wirklich neue Dinge über das Spiel hinaus beizubringen, uns voranzubringen. Klar, es gibt auch Ausnahmen abseits des Mainstreams, aber die erfolgreichsten Spiele folgen oft einem sehr einfachen Schema.“
Sich selbst nehmen die Entwickler von dieser vermeintlichen Schuld nicht aus. Viel zu lange habe man sich darauf konzentriert, marktoptimierte Mechaniken in ein Spiel zu pressen – mit KURSK soll das alles aber nun ganz anders werden: „Wahre Geschichten können uns so viel mehr bewegen und beschäftigen, weil sie ganz ohne Metaphern oder eine Zwischenebene mit unseren realen Problemen verbunden sind.“ Und damit kommt Jujubee auf die vielleicht wichtigste Motivation zu sprechen, die das Team zu diesem neuen Projekt angestachelt hat: Sie wollen ihre Spieler ganz konkret über die Geschichte unterrichten, ihnen etwas beibringen – und sie im besten Fall auch zum Nachdenken anregen: „Wir hoffen, dass unser Spiel viele Fragen aufwerfen kann: Was passiert mit den Sprengköpfen, die sich in einem verunglückten U-Boot befinden? Wie sicher sind diese Gefährte heutzutage überhaupt? Und wie stehen sind die Überlebenschancen für die Besatzung im Fall eines Unglücks? Davon abgesehen glauben wir fest daran, dass sich die Menschen auch ganz einfach Lust darauf haben, von einem etwas anderem, ambitionierten Spiel gefesselt zu werden.“
Der Blick hinter die PR-Kulissen offenbart viele Ambitionen, aber auch viele Probleme
Mit seiner historischen Hintergrundgeschichte stellt KURSK seine Entwickler vor ein ganz grundlegendes Problem: Wollen sie das Schicksal der 112 russischen Matrosen wirklich so nacherzählen, wie es sich tatsächlich zugetragen hat, besteht für den Spieler keine Aussicht auf Erfolg, Sieg oder Triumph – egal was wir auch unternehmen, der virtuelle Bildschirmtod wäre uns sicher.
Dieses Problem ist allerdings nur ein Scheinproblem, denn es eröffnet in Wirklichkeit ganz neue Möglichkeiten, mit der Erwartungshaltung des Spielers auf interessante Art und Weise zu brechen – oder eben eine Geschichte zu erzählen, die schlichtweg auf kein Happy End angewiesen ist. Viele Entwickler haben das bereits erfolgreich vorgemacht: Das Textadventure Trigger erzählt die Leidensgeschichte einer Frau, die sich mit einer posttraumatischen Belastungsstörung auseinandersetzen muss, Neverending Nightmares ist die spielbare Depressionsbewältigung seines Schöpfers und That Dragon, Cancer begleitet ein Elternpaar bei dem Abschied von ihrem krebskranken Kind. Keines dieser Spiele endet mit einem Level Up, Glückwünschen oder Ordensabzeichen und doch erzählen sie mitreißende, intime Geschichten, die zum Nachdenken anregen und den eigenen Horizont erweitern.
KURSK hingegen wählt einen anderen Weg, um mit dieser Herausforderung umzugehen: Hier wird der Spieler nicht etwa zu einem der 112 Matrosen, sondern übernimmt die Rolle einer ganz neuen Figur, die sich die Entwickler für dieses Szenario ausgedacht haben: Ein Spion. Was genau der an Bord des U-Boots anstellt und wie ganz grundsätzlich das Gameplay funktionieren soll, wollen die Entwickler noch nicht verraten. Dafür erklären sie im Interview, wieso wir ausgerechnet einen Geheimagenten spielen sollen: „Spieler wollen ein festes Ziel vor Augen haben, eine Herausforderung bestehen. Also haben wir den Spion als neue Spielfigur eingeführt – und das ist tatsächlich plausibler, als man vielleicht denken mag. In den späten 90-er Jahren waren Geheimdienste wie der CIA sehr interessiert an den hochmodernen russischen U-Boot-Prototypen. Die Russen überführten und verurteilen im Jahr 2000 sogar einen Mann namens Edmond Pope, der verdächtigt wurde, im Dienste der USA zu spionieren. Es ist durchaus denkbar, dass auch an Bord der Kursk ein solcher Agent war, der die atomaren Sprengköpfe des U-Bootes näher studieren wollte. Wie du sehen kannst, wurde unsere Geschichte stark von den tatsächlichen Ereignissen inspiriert.“
Es ist zweifellos ein schwieriges Terrain, auf dem sich das Entwicklerteam mit ihrem Projekt zu bewegen scheint: Auf der einen Seite will KURSK vom Untergang des gleichnamigen U-Boots erzählen, das Gedächtnis an die toten Matrosen erhalten und das Bewusstsein der Spieler für weiterführende Fragen schärfen. Auf der anderen Seite biegen die Entwickler die Geschichte soweit zurecht, um die vermeintlichen Bedürfnisse der Spieler befriedigen zu können: Herausforderungen bestehen, ein Ziel vor Augen haben. Eine Mission erfolgreich abschließen.
Zumindest ein Teil ihrer Zielgruppe, die russische Gaming-Community, schätzt diesen eigenwilligen Mix nicht sonderlich: Der Ankündigungstrailer des Spiels sorgt für viele wütende Kommentare, die den Entwicklern vorwerfen, das tragische Schicksal der U-Boot-Besatzung kommerziell auszuschlachten, viele wenden sich mit teils drohenden Emails auch direkt an die Entwickler selbst.
Die zeigen sich davon unterdessen recht unbeeindruckt: Manche Spieler seien einfach nicht bereit für das, was sie vorhaben, erklären sie gegenüber ArchaeoGames. Aber offenbar scheint sich das Team trotzdem der Zerrissenheit ihres Projekts bewusst zu sein – immerhin versuchen sie gar nicht erst, KURSK im Vorfeld als „Serious Game“, „historisch akkurat“ oder dergleichen zu bewerben, sondern bemühen stattdessen einen neuen Begriff: Die Adventure-Documentary, Abenteuer-Doku.
Mit dieser Genre-Wahl implizieren die Entwickler damit durchaus den Anspruch, über tatsächliche Begebenheiten in der Geschichte zu berichten – im Schulunterricht beispielsweise wollen sie ihr Spiel aber dann lieber doch nicht sehen, wie Jujubee auf Nachfrage erklärt: „Wir glauben nicht, dass Spiele als zentrales Medium im Schulunterricht etabliert werden sollten, (…) oder gar Bücher und echte TV-Dokumentationen ersetzen können. Letztere haben sich einfach bewährt. Und trotzdem können Videospiele etwas einzigartiges bieten: Sie können Spieler vor Entscheidungen stellen und sie die Konsequenzen ihrer Taten erleben lassen.“
Doch auch mit dieser Sichtweise bleibt die drängende Frage offen, wie wertvoll dieser Vorteil wirklich im konkreten Fall von KURSK wirklich sein kann, wenn wir hier in eine Rolle schlüpfen, die wohl gar nicht Teil der tatsächlichen Geschichte des tragischen Unglücks gewesen ist. Darauf will man uns aber nicht antworten.
KURSK wirft die interessante Frage auf, inwiefern uns Spiele über Geschichte unterrichten können und sollten – und wie mit der gefühlten Notwendigkeit umgegangen werden kann, historische Ereignisse und Prozesse mit Spielmechaniken zu vermengen. Andere Spiele stellten sich diese Frage freilich bereits lange vor KURSK: Das Adventure 1979 Revolution beispielsweise macht uns zum Zeitzeugen der Islamischen Revolution, das Strategie-Spiel RIOT lässt uns die wichtigsten Demonstrationen der jüngsten Weltgeschichte noch einmal neu inszenieren, das Rollenspiel Kingdom Come: Deliverance erhebt den Anspruch, das Böhmen des 15. Jahrhunderts abzubilden.
Und doch scheint sich noch immer kein durchgängiges Bewusstsein auf Seiten der Spielerschaft und auch der Mainstream-Presse dafür entwickelt zu haben, wie Videospiele unser Bild der Geschichte beeinflussen, bereichern, aber auch manipulieren zu können. Vielleicht kann KURSK diesen Stein endlich ins Rollen bringen – selbst dann, wenn das polnische Entwicklerteam möglicherweise die falschen Antworten auf die richtige Frage finden wird.