Selten hat mich eine fiktive Welt so berührt, wie die von Days Gone. Was auf der Spielepackung nach popkulturellem Einheitsbrei mit Bart klingt – Postapokalypse inklusive Zombies, die menschliche Zivilisation ist vom Aussterben bedroht, Biker-Protagonist mit Tribal-Tattoos – stellte sich zu meiner großen Überraschung als dramatische Tragödie vor einer bedrückenden Kulisse heraus.
So dauert es auch nach vielen, vielen Spielstunden nie lang, bis die Schwere und Trostlosigkeit von Days Gone auf mich wirkt: nur selten muss ich dafür mehr als einige dutzend Schritte durch das Unterholz des fiktiven US-Bundesstaates machen, der mit seinen dichten Tannenwäldern und hohen Gebirgszügen an die Landstriche Oregons erinnert, aber von seinen Bewohnern nur vielsagend ‚Farewell-Wildnis‘ genannt wird. Eine grün-graue Höhle, die mich zur Erkundung lockt.

Doch trotz der Abgeschiedenheit in einer Welt, in der die menschliche Zivilisation auf wenige versprengte Siedlungsgemeinschaften reduziert wurde, bleibe ich auf einem solchen Rundgang nie lange für mich. Das Ächzen von zahllosen Zombies, die auf unsicheren, abgenagten Beinen über längst verdorrte Felder irren, schallt unentwegt durch das Unterholz. Immer wieder stolpere ich über verwaiste Zeltlager, aus denen Blutlachen kriechen. Und irgendwann bemerke ich das melancholische Geigenspiel des Soundtracks, der unbemerkt längst eingesetzt hat und sich unter die Geräusche des Waldes legt.
Es sind die wenigen Siedlungen der überlebenden Menschen, die in dieser Welt Gemeinschaft und Sicherheit versprechen. Allerdings offenbart ein aufmerksamer Rundgang in einer dieser Siedlungen, dass dieses wertvolle Versprechen nicht überall gehalten werden kann.
Hot Springs Camp: Das Arbeitslager von Days Gone

Neben den Menschen, die auf eigene Faust oder in kleineren Gruppen nomadisch durch die Spielwelt ziehen, gibt es in der Welt von Day’s Gone fünf größere Siedlungen, die jeweils von einer starken, charismatischen Persönlichkeit autoritär geführt werden. Hot Springs Camp ist eine dieser Siedlungen, die von Tucker gegründet wurde – eine willensstarke Frau, die ihre Gemeinschaft auf einer einzigen, simplen Regel aufgebaut hat: „Wer was will, muss dafür arbeiten.“

Diese Regel hat das Zusammenleben und die sozialen Hierarchien in Hot Springs maßgeblich geformt: Die Neuankömmlinge im Lager arbeiten täglich mehrere Stunden auf den Feldern, reparieren Gebäude und Maschinen. Überwacht werden sie von SiedlungsbewohnerInnen, die bereits länger in Hot Springs leben und das Vertrauen von Tucker gewinnen konnten. Viele von ihnen sind bewaffnet und strafen jede unerlaubte Pause der ArbeiterInnen mit Tritten, Schlägen und Drohungen. Alte Menschen, Kranke oder Kinder gibt es hier nur sehr wenige.




Nach Feierabend ziehen sich die Arbeitskräfte in ein großes Zeltlager zurück, das isoliert vom restlichen Camp liegt. Auch hier werden die ArbeiterInnen bewacht, womöglich um sie an der Flucht oder nächtlichen Spaziergängen zu hindern. Die übrigen Wachen und privilegierten Siedlungsbewohner versammeln sich derweil in kleineren Grüppchen um Lagerfeuer und trinken überwiegend Alkohol. Die Überreste dieser Zechrunden – Kekstüten, Müslipackungen und Getränke – bleiben vielfach unbeachtet neben den Feuerstellen und Sitzplätzen liegen.



Generell ist Unordnung ein wiederkehrendes Motiv, das überall in Hot Springs auftaucht: An jeder Ecke stehen leere Flaschen und Dosen, immer wieder liegen Kleidung und Tücher neben den Wäscheleinen im Dreck, verdorbene Speisereste stapeln sich vor Zelteingängen, die wenigen Möbelstücke wie Stühle und Schränke sind beschädigt oder achtlos nebeneinander gereiht. Klar, wir sprechen hier immer noch von der Postapokalypse, aber es ist doch bemerkenswert, wie wenig Aufwand hier betrieben wurde, das neue Zuhause wohnlich einzurichten und sauber zu halten. Stattdessen wirkt Hot Springs wie ein Spiegel für die Hoffnungslosigkeit der Menschen, die nicht wissen, ob sie am nächsten Morgen wieder auf die Felder zurückkehren werden oder noch nachts vor Hunger und Entkräftung im Schlafsack sterben.





Einen Höhepunkt dieser Achtlosigkeit entdecke ich, als ich auf dem höchsten Punkt eines Hügels ein gigantisches Feuer bemerke, wo die Leichen von Zombies und verstorbenen Menschen verbrannt werden. Und die Warteschlange für die Einäscherung ist lang: Tag und Nacht brennt der meterhohe Fleischberg ununterbrochen, einige Körper stecken in Leichensäcke, viele weitere liegen offen daneben. Man kümmert sich hier nicht einmal mehr darum, die Toten zu bedecken, die so unter der stechenden Sonne ungehindert verfaulen.


Besonders bizarr ist, dass der riesige Scheiterhaufen in direkter Sichtlinie zu den Feldern liegt, auf denen die Siedlungsbewohner täglich arbeiten. Was für eine furchtbare Vorstellung: Hier kämpfen die Menschen wortwörtlich um ihr Überleben und versuchen, dem trockenen Boden etwas abzugewinnen, während nur wenige Meter weiter ihre Freunde und Familienangehörigen neben den Zombies gestapelt und verbrannt werden.

Kein Lachen, keine Freude: Nur wenig unterscheidet diese Menschen von den Zombies vor ihren Toren
Vor meinem Rundgang war ich viele Mal im Arbeitslager von Hot Springs unterwegs gewesen. Aber während ich von Tucker meine neuen Aufträge abholte, Munition für meine Waffen kaufte oder mein Motorrad auftanken ließ, hatte sich bei mir nie das Gefühl eingestellt, in Sicherheit zu sein, verschnaufen zu können – ein Gefühl, das ich in anderen postapokalyptischen Spielwelten von Camps wie Hot Springs eigentlich gewohnt bin.

Dieser Rundgang führte mir dann vor Augen, was ich unterbewusst offenbar längst bemerkt hatte: Angst, Unordnung, Unzufriedenheit, Sorgen prägen die Stimmung in diesem Lager, die sich bei jedem Besuch auf mich überträgt. Diese ungemütliche Grundstimmung manifestiert sich in den vielen Details und der räumliche Struktur des Camps, die beim normalen Spieldurchlauf und mit aufgesetzten Missionsmarker-Scheuklappen kaum bemerkt werden. Erst ein genaues Hinsehen offenbart, wo wir uns in Hot Springs wirklich befinden: Nicht nur in einem Arbeitslager, nicht nur an einem der letzten menschlichen Außenposten – sondern am Rande der Zivilisation, wo Zuversicht und Hoffnung nur noch ein letzter, flüchtiger Gedanke vor dem Einschlafen sind.
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