Im Blickpunkt

Am Scheideweg der Menschheit: Was steckt hinter dem Steinzeit-Adventure Coexistence?

Einige der Konzeptzeichnungen, die die Game Design-Studentin Felizitas Baum für ihr Spiel Coexistence angefertigt hat, erinnern an die bunten Illustrationen, die manchmal in Museen hinter verglasten Exponaten hängen. Es sind farbenfrohe Bilder, die Menschen in einer vorindustriellen, vormodernen Landschaft als kleine Figuren zeigen, die gerade Steinkeile anfertigen, Bronzewerkzeuge tauschen oder Jagd auf Säbelzahntiger machen.

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Diese Szenen sind aber noch mehr, als nur ein hübsches Hintergrundrauschen vor den Glaskästen: Sie setzen nämlich die Exponate in ihren ursprünglich Kontext. Schön und gut, wie ein Faustkeil aussah, aber wie wurde es benutzt? Oder wie können wir uns die Rituale vorstellen, in denen hübsch bemalte Trinkschalen herumgereicht wurden? Auf Fragen wie diese liefern die Bilder, die moderne Museen immer mehr zu  einem wichtigen Teil ihrer Ausstellungen erheben, mögliche Antworten.

Das Spiel Coexistence ist in diesem Kontext durchaus mit einigen dieser musealen Illustrationen vergleichbar, weil es eine Epoche der Menschheitsgeschichte greifbarer und mittelbarer machen möchte, die wir heute ausschließlich mit Fundobjekte rekonstruieren: Die Jungsteinzeit und die neolithische Revolution, die wir in Geschichtsbüchern als die Zeit kennenlernen, in der sich die Menschen Europas vom Nomadentum zur Agrargesellschaft entwickelten. 12.000 Jahre nach diesem so wichtigen, gesellschaftlichen Prozess arbeitet die Game Design-Studentin Felizitas Baum nun an ihrem eigenen, spielbaren Beitrag, die Geschichten und Konflikte der damaligen Menschen in einen neuen Kontext zu setzen. Und dafür lässt sie sich vor allem vom Genre der klassischen Point’n’Click-Adventures inspirieren.

Eine persönliche Geschichte im Schatten der Steinzeit

Die Idee von Coexistence ist es, zwischen so anonymen, gigantischen Begriffen wie “Agrarkultur”, “Nomadentum” und “Jungsteinzeit” persönliche, fiktive aber glaubwürdige Geschichten der Menschen zu erzählen, die sich zwischen den Fronten ihrer Zeit in einer schwierigen Auseinandersetzung wiederfanden. Diesen Konflikt durchleben wir in der Haut der Nomadentochter Skira, die nach jahrelangen Reisen mit ihrem Stamm zu einem heiligen Ort ihrer Gemeinschaft zurückkehrt, an dem in der Zwischenzeit ein anderer Stamm eine Siedlung errichtet hat. Aus dieser misslichen Lage heraus entspinnt sich eine Geschichte, in deren Mittelpunkt das junge Mädchen und ihr erster Kontakt zu sesshaften Menschen und ihrer Lebenswelt steht. Welches Ende diese Konfrontation nehmen wird, liegt ganz alleine in unseren Händen.

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Dabei ist sich die Entwicklerin offenbar durchaus sehr gut der Gefahr bewusst, mit der Inszenierung ihrer Geschichte unbewusst Partei zu ergreifen und beispielsweise den Stamm der Protagonistin als “die Guten” zu charakterisieren. Diese kontrastierende Zeichnung ist in Videospielen mit historischen Settings tatsächlich die Regel, aber Felizitias Baum will diesem Fettnäpfchen entgehen, wie sie mir erklärt:

Die Gestaltung der beiden unterschiedlichen Gruppen, deren möglicher Konflikt die Dynamik der Geschichte konstituiert, soll möglichst ausgewogen sein. Das oberste Ziel ist hierbei kein Gut-Böse-Schema zu bedienen, sondern zu zeigen, dass ein und derselbe Umstand aus zwei Perspektiven sehr unterschiedlich betrachtet werden kann. In dieser Herangehensweise sollen beide Gruppen in ihrem Handeln als konsistent und nachvollziehbar erlebbar sein, so dass aufgrund von Vorbildung oder ersten Eindrücken vielleicht vorschnell gezogene Schlüsse im Verlauf des Spiels relativiert werden können.

Damit einhergehend haben beide Gruppen ein voll ausgearbeitetes Profi, das unterschiedliche Fragen beantwortet: Wie ist das Zusammenleben organisiert? Was sind typische Tätigkeiten? Was zeichnet die beiden Gemeinschaften aus? Fragestellungen, die übrigens auch klassische Lehrbücher zugunsten einer deutlich einseitigen Darstellung auslassen.

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Far Cry Primal spielt zu einer ähnlichen Zeit wie Coexistence, nimmt aber über große Strecken des Spiels eine klare Charakterisierung von „Gut“ (Wir, Homo Sapiens, sesshaft) und „Böse“ (Die Anderen, teils Neandertaler, Menschenfresser) vor.

Spielmechanish erleben wir diese Auseinandersetzung mit den Mitteln eines Point’n’Click-Adventures: Über eine Übersichtkarte wählen wir je nach Story-Kapitel eine von neun verschiedenen Spielszenen aus, in denen wir dann mit ganz unterschiedlichen Charakteren, die sowohl aus dem Lager der Nomaden, als auch dem Lager der sesshaften Bauer stammen, interagieren können. Meist geschieht das in Form von Gesprächen, die so oft wie nur irgendwie möglich in der Vergangenheit liegende Entscheidungen des Spielers aufgreifen sollen, aber auch auf Details wie unseren gewählten Tonfall reagieren.

Dabei verliert Coexistence niemals die Hintergrundgeschichte von Skira aus den Augen. Als Mitglied eines Nomadenstammes werden viele ihrer Entscheidungen mit einem ganz bestimmten Maß gemessen, wie Felizitas Baum erklärt:

Einzelne Aktionen sind dabei immer im Kontext des Nomadenstammes eingebettet: Tiere ohne Segnung des Schamanen töten wird den Zorn des Stammes nach sich ziehen, und wenn Nahrung in der Gesellschaft anderer verzehrt wird, gibt es immer die Option, zu teilen.

Im August 2017 will Felizitas Baum einen ersten Prototypen von Coexistence fertiggestellt haben und an ihrer Universität präsentieren können. Wie es danach mit dem Spiel weitergehen soll, welche Herausforderungen die Entwicklerin seit der ersten Programmierzeile meistern musste und wie die Recherche für ihr Spiel ausgesehen denkt, verrät Felizitas im Audio-Interview, das ich aus einem fast zweistündigen Gespräch für euch zusammengeschnitten habe. Viel Spaß damit!

Dom Schott hat Archäologie studiert und schreibt heute als freier Journalist besonders gerne über spannende Online-Communities, Netzkultur und seine zwei Kater.

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