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Warum Hellblade ein so wichtiges Spiel ist – nicht nur für Archäologie-Fans

Mit Hellblade bekommt das Entwicklerteam von Ninja Theory die Möglichkeit, die Pikten als Hauptrolle eines story-basierten Rollenspiels publikumswirksam in den Kanon der Videospielkultur einzugliedern. Ein spannender Gedanke - nicht nur für Archäologie-Fans.

Videospiele beeinflussen unser Bild von der Geschichte. Sie präsentieren uns Ist-Zustände und weisen nur in Ausnahmefällen auf die Freiheiten hin, die sie sich fernab der historischen Überlieferung erlaubt haben.

Unter anderem aus diesem Grund ist dieses Medium für die Geschichtswissenschaft auch so spannend, denn wie kaum ein anderes Produkt der Neuzeit spiegeln oder etablieren Videospiele einen Status Quo des kollektiven, historischen Allgemeinwissens: Wie hat die römische Armee funktioniert? Spieler erinnern sich an die Schildkrötenformation in Rome: Total war, an brennende Schweine und an Legionen, die sie erst nach dem Ingame-Event “Die Reform des Marius” einsetzen dürfen.

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In Rome: Total war lernen die Spieler im Rahmen eines Ingame-Events von der historischen Reform des Marius und erhalten anschließend Zugriff auf neue Einheitentypen.

Wie sah das Leben im Wilden Westen aus? Abenteuer aus Red Dead Redemption werden hervogekramt, in denen wir im Saloon Karten spielten, die Grenze zu Mexiko entdeckten und Kälber mit dem Lasso einfingen. Die Perspektive der Entwickler ist für den Spieler gleichermaßen Konzentrat und Filter der menschlichen Geschichte.

Während Videospiele in den letzten 30 Jahren zahlreiche Epochen und Kulturräume abgedeckt und aufarbeitet haben, gibt es allerdings noch immer weiße Flecken, die bisher nur am Rande vergangener “Historic Games” stattgefunden haben. Die Kulturen der Pikten und übergreifend Kelten gehören zu ihnen und traten in jüngerer Vergangenheit vor allem als Fraktion in Strategiespielen auf (siehe beispielsweise Boudicca in Civilization 5 und verschiedene keltische Stämme in Rome 2: Total War).

Senua, die Botschafterin

Hellblade: Senua’s Sacrifice, das nach mehrfachen Verschiebungen nun endlich am 08. August 2017 erscheint, wird einen dieser weißen Flecken tilgen und den Kulturraum der Pikten in den Kanon der Videospielkultur etablieren, die noch nie zuvor derart im Rampenlicht eines AAA-Spiels mit einer ausgeprägten Story standen.

Das Action-Rollenspiel erzählt die Geschichte der jungen Kriegerin Senua, die sich auf die Reise in das Herzland des nordischen Totenreiches begibt, um dort nicht nur gegen menschliche Gegner, sondern auch ihre inneren Dämonen zu kämpfen: Geplagt von der Gewalt und den Kriegen, die sie bereits durchstehen musste, schreit eigentlich alles in ihr, dem ewigen Kämpfen abzusagen. Wir begleiten sie auf ihrem schwierigen Weg, der im doppelten Sinne eine abenteuerliche Reise werden wird.

Das ist die interessante Prämisse, mit der die Pikten ihr Debüt im AAA-Rampenlicht der Videospielwelt feiern – und Senua wird die Botschafterin für Spieler sein, die womöglich zum ersten Mal in ihrem Leben Begriffen wie “Kelten” und “Pikten” kennenlernen werden. Eine große Chance, Geschichte(n) zu erzählen, aber auch eine Herausforderung, der sich die Entwickler von Ninja Theory bewusst zu sein scheinen.

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Tameem Antoniades, Creative Director des Entwicklerteams, hat gleich zu Beginn der Entwicklungsarbeiten genau vor Augen gehabt, wann und wo Senuas Abenteuer stattfinden soll:

Hellblade spielt 790 v. Chr. und beginnt auf den Orkney Islands. Wir haben gezielt diese Periode gewählt, weil wir uns somit noch vor der Ankunft der Christen befinden und ein interessantes Kapitel in der Geschichte dieser Inseln abdecken können. Unsere Recherchen haben gezeigt, dass die keltische Population kurz nach Landung der Wikinger verschwunden ist. Die Forschung weiß bis heute nicht, was da passiert ist – und unser Spiel will nun eine Erklärung anbieten, was sich auf den Inseln abgespielt haben könnte.

Dieser Leitgedanke, die historische Quellenlage wiederzugeben und Ungereimheiten oder Unsicherheiten mit einer phantasievollen, aber glaubwürdig erscheinenden eigenen Geschichte zu füllen, überträgt sich von der Story auf das Design der Spielwelt und des Hauptcharakters.

Von der Dreadlock-Frisur, die keltische Krieger nach historischer Überlieferung mit Kalk formten, bis hin zum Aussehen der Waffen und der Kleidung bemüht sich Ninja Theory nicht nur um ein glaubwürdiges Bild, sondern auch um eine Berücksichtigung der Quellenlage. Das bezeugen nicht zuletzt die dutzenden Video-Blogs der Entwickler, die regelmäßig einen Blick hinter die Kulissen des Teams erlauben.

Natürlich ist dabei kein Videospiel mit historischem Setting per se dazu verpflichtet, der historischen Überlieferung treu zu bleiben, doch Ninja Theory scheinen die Tradierung vielmehr als Bühne für eine spannende Geschichte einer einzelnen Person zu verstehen, als ein Hindernis, das umgangen werden muss. Und während Ubisofts For Honor beispielsweise recht schnell diese Bühne wieder abreißt, weil “Geschichte nicht cool genug ist”, will Ninja Theory keinen Finger an dem Konstrukt rühren, das uns dieses spezielle Kapitel der menschlichen Geschichte vorgibt.

Aber es ist nicht nur das Spiel selbst, das mit seinem Verhältnis zur Geschichte und dem Umgang mit Kriegstraumata als ein Leitmotiv so aufregend und besonders ist: Ganz unabhängig von der Qualität des Spiels wird Hellblade mit der prominenten Darstellung der Pikten einen Meilenstein darstellen und vor allem mit dem visuellen Design ein neuer Referenzpunkt werden, auf den sich kommende Projekte mit ähnlichem Schauplatz beziehen können, ob nun bestärkend oder voll Widerspruch kontrastierend. Hellblade wird ein neues Kapitel aufschlagen und es einem neuen Volk der Videospielkultur widmen, inklusive neuer Helden, Geschichten, Götter und Feinden – und das ist nicht nur für Archäologie-Fans ein spannende Aussicht.

Dom Schott hat Archäologie studiert und schreibt heute als freier Journalist besonders gerne über spannende Online-Communities, Netzkultur und seine zwei Kater.

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