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Von der Vision bis zur Drohnachricht: Die wendungsreiche Geschichte des deutschen Indie-Erfolgs Battle Brothers

Zwei Chef-Entwickler erzählen vom schwierigen Weg, der sie von einer Idee zu ihrem Erstlingswerk geführt hat.

Eigentlich ist es ein ganz normaler Morgen im Sommer 2017, als der Wecker von Paul klingelt. Auf den jungen Entwickler wartet ein neuer Arbeitstag, doch das Aufstehen fällt ihm heute besonders schwer. Am Abend zuvor hat Paul in seinen Emails eine anonyme Drohnachricht entdeckt, die ihn nicht schlafen ließ:

„Ich lauer dir nach Feierabend an deinem Auto auf und stech dich ab!“

Es sind die dunkelsten Wochen in der Erfolgsgeschichte von Overhype Studios, dem Hamburger Indie-Studio der Brüder Paul und Jan. Dass aus ihrem Feierabendprojekt Battle Brothers einmal eines der erfolgreichsten deutschen Indie-Spiele werden und sie schließlich mit Drohnachrichten im Posteingang aufwachen würden, hätten sich die beiden Entwickler wohl niemals erträumt. In einem ausführlichen Interview unterhielt ich mich mit Jan und Paul über ihre Geschichte, den unerwarteten Erfolg ihres Erstlingswerks Battle Brothers und das abrupte Ende ihres Projekts, das so vielen Fans vor den Kopf stieß.


Am Anfang stand die Unzufriedenheit

„Wir wollten einfach nur ein Spiel machen, das wir selber unheimlich gerne spielen würden.“ Ein Satz, der in Interviews mit AAA-Giganten häufig zu hören und ebenso häufig kaum zu glauben ist, wirkt im Gespräch mit Jan und Paul glaubwürdig. Als große Fans des allerersten XCOM (1994) hatte sich das Brüderpaar immer gefragt, warum seitdem niemand auf die Idee gekommen war, ein solches Rundenstrategiespiel in einem Fantasy-Setting zu entwickeln.

Nicht nur das Genre, auch die Prämisse von X-COM (1994) begeisterte Jan und Paul: Technologisch überlegene Aliens landen auf einem fremden Planeten, dessen Bewohner sich mit Müh und Not gegen die Eindringlinge verteidigen müssen. Ursprünglich sollten deswegen auch die Orks und Geister von Battle Brothers ebenfalls Aliens sein, die von einem fremden Stern kommen und die frühmittelalterliche Welt in Angst und Schrecken versetzen.

Jahrelang schleppten sie diesen Wunsch mit sich herum, bis die Umstände schließlich stimmten, um mit der Entwicklung an einem eigenen Spiel zu beginnen. Und mit den richtigen Umständen ist nicht weniger als die enorme Unzufriedenheit beider Brüder bei ihrem damaligen Arbeitgeber gemeint, ein großes Hamburger Free-to-Play-Entwicklerstudio, das laut Paul alles andere als ein idealer Ort für kreatives Arbeiten sei: „Da will ein Großteil der Belegschaft privat nie dieses Spiel spielen, sondern stattdessen wird gesagt: Mach das und das, weil wir so diese oder jene Zielgruppe erreichen — aber zu der gehört keiner der Mitarbeiter. Das ist ein Riesenproblem.“

Auf dem fruchtbaren Boden dieser Unzufriedenheit reifte schließlich die Idee heran, regelmäßig nach Feierabend an einem Fantasy-XCOM zu arbeiten: Ein Strategiespiel, das uns zum Anführer einer Söldnerbande macht, die in einer Low-Fantasy-Welt um Prestige, Sieg, regelmäßiges Gehalt und bessere Ausrüstung kämpfte. Die Ästhetik des europäischen Frühmittelalters — aufwändig von Art Design-Chef Paul recherchiert und rekonstruiert — sollte mit Fantasy-Elementen wie Orks und Werwölfe vermengt werden: Es war die Geburtsstunde von Battle Brothers, das allerdings nicht für immer ein Hobby-Projekt bleiben sollte.

Ermutigt von den positiven Reaktionen ihrer Freunde auf einen ersten Prototypen entschlossen sich Jan und Paul nach drei Jahren Feierabendtüfteln dazu, mit Battle Brothers ernst zu machen: 2015 gründeten die Brüder Overhype Studios, kündigten ihre alten Jobs und nahmen die Finanzierung ihres Projekts in Angriff.

An Marktforschung, Zielgruppenanalyse oder anderen vorbereitenden Maßnahmen, um die Chancen auf einen kommerziellen Erfolg von Battle Brothers zu maximieren, waren die Brüder dabei allerdings nicht interessiert, wie Paul erklärt: „Der gesamte Anreiz für die Entwicklung war ja sowieso nur, dass wir dieses Projekt für uns machen und spielen wollten. Und daher hätte uns Marktforschung gar nichts gebracht. Klar hat uns das positive Feedback unserer Freunde gefreut, aber es ging immer darum, dass uns das Spiel Spaß macht und wir das wollen. Und darauf aufbauend haben wir dann einfach gehofft: Wenn es uns Spaß macht, macht es vielleicht auch anderen Menschen Spaß, die ähnlich drauf sind wie wir.“

Deutsche Förderprogramme: Mehr Haken als Nutzen?

Ein Telefonanruf bei den Eltern stellte das Startkapital der Entwicklung sicher. Die fortlaufende Arbeit des Teams, das neben Jan und Paul immer wieder um Freelance-Coder und -Autoren ergänzt wurde, sollte anschließend über das Early Access-Programm von Steam finanziert werden. Crowdfunding-Plattformen wie Kickstarter, die damals noch einen Standort des Entwicklerteams in England oder den Niederlanden vorausgesetzt hatte, kam für die Brüder aus organisatorischen Gründen nicht in Frage. Und auch die Recherche nationaler Förderprogramme ernüchterte Jan und Paul:

„Wir haben uns das damals angeschaut, aber die Form der Finanzierung ist tatsächlich schwierig. Vielfach handelt es sich nämlich ’nur‘ um günstige Kredite, das heißt am Ende hat man trotzdem Schulden, die man halt etwas vergünstigt zurückzahlen muss.

Es gibt auch Fördermittel, die man behalten kann, aber die sind an schwierige Voraussetzungen geknüpft. Beispielsweise muss man in Bremen nachweisen, dass man neue Jobs schafft, und unser damals dreiköpfiges Team hatte keinerlei Kapazitäten mehr, noch irgendwen einzustellen. Das heißt, diese Bedingung konnten wir nicht erfüllen. Und das ist nur ein Beispiel von vielen, die so eine Finanzierung erschweren.“

Wie Paul weiter erklärt, würden vielfach regionale Förderpreise den Antragsstellern vorschreiben, technische Innovationen vorweisen zu können. Unterm Strich rechneten sich die Brüder nur wenige Chancen für eine Förderfinanzierung aus: „Unser Spiel dreht sich um Ritter, die sich gegenseitig auf den Kopf hauen, das ist weder kulturell interessant, noch pädagogisch wertvoll.“

Zur Freude von Overhype Studios konnte Battle Brothers auf Steam bald eine schnell wachsende Community um sich versammeln, die die fortlaufende Entwicklung des Fantasy-Strategiespiels gespannt mitverfolgte. Via Steam, im Subreddit und im offiziellen Forum des Spiels diskutierten SpielerInnen über Endgame-Herausforderungen, Magic Moments und stellten Wunschlisten für neue Features zusammen.

Einige Features haben es trotz der vielen Inhaltsupdates bis heute nicht ins Spiel geschafft. Dazu gehören auch die „Battle Sisters“, also weibliche Kriegerinnen, die neben ihren männlichen Gegenstücken kämpfen und rekrutiert werden können.

Über zwei Jahre lang blieb das Spiel von Jan und Paul work in progress, alle ein bis drei Wochen erweiterte ein Update den Kampf der Söldnerbande um neue Waffen, Quests und Features. Als Battle Brothers schließlich im März 2017 den Early Access verließ, konnten die beiden Brüder auf über 50.000 Verkäufe zurückblicken. Ein Jahr später sollte sich diese Zahl noch einmal verdoppeln. Und trotz dieses riesigen kommerziellen Erfolgs blicken Jan und Paul auf diese Zeit mit überaus gemischten Gefühlen zurück.

Gamer-Wut

Kurz nach dem Full Release von Battle Brothers und dem großen Patch 1.1 wandte sich Overhype Studios im Juni 2017 mit einem Blog-Posting an die Community und legt ihre Pläne für die Zukunft offen. Ehrlich und transparent erklärten die Brüder, dass ihr Spiel die Vision wahr machen konnte., die Jan und Paul seit nunmehr über einem Jahrzehnt mit sich herumgetragen haben. Battle Brothers soll in Zukunft weiterhin mit Bugfixes versorgt werden, aber neue Inhalte würden nicht mehr erscheinen — die Zeit sei reif für ein ganz neues Projekt.

Was dann passierte, überraschte und schockierte Jan und Paul: Die Foren und das Subreddit des Spiels wurden geflutet mit wütenden und uneinsichtigen Kommentaren, die den Entwicklern vorwarfen, „mit dem Geld abzuhauen“ und „Battle Brothers im Stich zu lassen“.  Einige wenige Gamer schrieben Jan und Paul sogar Drohmails und organisierten Online-Mobs, die möglichst viele negative Steam-Reviews innerhalb kürzester Zeit fabrizieren sollten. Das Ziel für einen Großteil der Community war klar: Die Entwickler unter Druck setzen und sie damit zwingen, doch weiter an Battle Brothers zu arbeiten.

Vorübergehend fiel die Bewertung des Spiels dadurch tatsächlich von über 85% auf mäßige 50%. Erklären können sich Jan und Paul diese Reaktionen heute nur mit einer schiefen Sicht der Fans auf die Realität der Entwicklung an Battle Brothers — und die sei teilweise selbstverschuldet durch die Brüder entstanden:

„Wir haben ja die Leute darauf trainiert, dass es immer Updates gibt und wenn man dann sagt, dass das bald vorbei sei, rufen die natürlich ‚Huch, nach zwei Jahren zu Ende, das geht doch gar nicht.‘ Irgendwann waren alle Leute so daran gewöhnt, dass von uns jeden oder jeden zweiten Monat ein Update kommt, sodass es gar kein Gefühl mehr dafür gab, dass das kein dauerhafter Zustand sein soll. Eigentlich ist die Perspektive der Fans [bei einem Early Access-Titel] ja eher so, dass sie einem Studio über die Schulter blicken, wie es ein unfertiges Spiel bearbeitet.“

Nachdem Jan und Paul den ersten Schock überwunden hatten, entschlossen sie sich dazu, den Shitstorm ihrer eigenen Fans auszusitzen – das erschien den beiden Brüdern zum damaligen Zeitpunkt als die einzige Reaktion, die ihnen am meisten Nerven ersparen würde, wie sie im Interview erklären:

„Das ist eine extrem schwierige Situation, manche Entwickler versuchen da offensiv mit umzugehen, aber das geht ja fast immer in die Hose, würde ich sagen, also Rechtfertigungsschreiben und all das. Wir haben festgestellt, dass es schwierig ist, im Internet derartige Konflikte zu lösen, da laufen Diskussionen ja vielfach auf emotionaler Ebene ab.

Und man kann Leute ja nicht einfach emotional ‚umdrehen‘, dass die auf einmal sagen ‚Ah okay ich bin nicht mehr wütend‘. So funktioniert das nicht und darauf muss man sich einstellen – und meistens scheint es besser zu sein, gar nicht darauf zu reagieren. Und das fällt schwer, sich da einfach mal zurückzunehmen und sich nicht in diese Kämpfe reinziehen zu lassen. Und wenn man das nicht kann, braucht man entweder einen Community Manager oder man kann keine Spiele machen.“

Und so zogen sich die beiden Brüder wie angekündigt von der aktiven Entwicklung ihres Spiels zurück und überließen die Foren und Reddit-Threads den vielfach frustrierten Fans. Was sich hinter dem neuen Projekt von Overhype Studios verbirgt, das die beiden Brüder in ihrem verhängnisvollen Dev-Blogpost ankündigten, bleibt seit über einem Jahr ein Geheimnis — und auch im Interview mit ArchaeoGames wollten Jan und Paul nichts verraten. Die Nachfrage, ob eine Rückkehr der beiden Entwickler zu Battle Brothers denkbar sei, wollten die beiden ebenfalls nicht konkret beantworten: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt könne man dazu noch nichts sagen.

Immerhin — eine definitive Absage klingt anders. Und so bleibt die Hoffnung, dass sich Jan, Paul und Overhype Studios bald von der dunkelsten Stunde ihres Erstlingswerks Battle Brothers erholt haben werden, um ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Wo und mit welchem Projekt das passieren wird, muss die Zukunft zeigen, in die beide Brüder trotz ihrer Erfahrungen weiterhin optimistisch blicken.

Dom Schott hat Archäologie studiert und schreibt heute als freier Journalist besonders gerne über spannende Online-Communities, Netzkultur und seine zwei Kater.

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