Spaziergänge

Wie rekonstruiert Assassin’s Creed Origins das berühmteste Grabmal der Antike — ohne zu wissen, wie es wirklich ausgesehen hat?

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Alexander der Große gilt als eine der berühmtesten Persönlichkeiten der europäischen Antike: Der makedonische Feldherr und Königssohn, der von Aristoteles persönlich unterrichtet wurde, hatte bis zu seinem 30. Lebensjahr ein Weltreich errichtet, das sich von Griechenland über Ägypten bis ins heutige Pakistan erstreckte. Während seiner Eroberungszüge im 4. Jahrhundert v. Chr. gründete er dutzende Städte und wurde zum ägyptischen Pharao gekrönt. Die Fußspuren, die der junge Mann hinterließ, sind so gewaltig, dass die heutige Forschung seine Leistungen zur Grundlage einer neuen kulturellen Epoche gemacht hat: Dem Hellenismus.

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Eine der berühmtesten Darstellungen von Alexander dem Großen: Alexander stürmt von links auf seinem Pferd heranreitend während der Schlacht von Issos auf den persischen Großkönig zu.

Alexander starb im Alter von nur 32 Jahren an einer mysteriösen Krankheit — und die Suche nach seiner letzten Ruhestätte beschäftigt Archäologen weltweit seit über 300 Jahren. Bis heute ist es keinem Forscher gelungen, die Überreste des Grabmals mit vollkommener Sicherheit zu lokalisieren oder ihr genaues Aussehen zu rekonstruieren. Die einzige Informationsquelle, die wir hierzu heute noch kennen, sind die Berichte von antiken und mittelalterlichen Autoren, die das Grab des Alexander besucht oder zumindest davon gehört haben. So wissen wir heute mit relativer Sicherheit, dass das sogenannte Alexandergrab im ägyptischen Alexandria liegen muss und große Namen wie Gaius Iulius Caesar, Cleopatra, Ocatvian und zahlreiche weitere römische Kaiser über Jahrhunderte hinweg dem makedonischen Feldheeren die letzte Ehre erwiesen.

Ubisoft wagt sich an eine Rekonstruktion

Mehr oder weniger gezwungenermaßen musste sich nun auch Ubisoft mit dieser spannenden, aber auch lückenhaften Überlieferung auseinandersetzen, als sie mit ihrer Arbeit an Assassin’s Creed Origins begannen. Dieses Action-Rollenspiel lässt uns das Alte Ägypten des 1. vorchristlichen Jahrhunderts erkunden und befördert uns damit in eine Zeit, die von kulturellen und politischen Zerreißproben geprägt ist: Römer, Griechen und Ägypter buhlen um Macht, Einfluss, Land und Teilhabe. Dieser Konflikt setzt sich bis in die obersten Gesellschaftsschichten fort, wo er unter anderem von antiken Prominenten wie Caesar und Kleopatra ausgetragen wird.

Das Assassin’s Creed-Franchise bemüht sich seit jeher, vor allem die Architektur ihrer geschichtsträchtigen Schauplätze möglichst überlieferungsgetreu darzustellen — eine Arbeit, die mit Assassin’s Creed Origins einen beeindruckenden Höhepunkt erreicht hat. Einfach war diese Rekonstruktionsarbeit im Alten Ägypten aber sicherlich nicht, denn vor allem in den Metropolen mussten die Entwickler viele Gebäude digital nachbauen, die zwar namentlich bekannt sind, aber über deren genaues Aussehen kaum etwas bekannt ist. So war es mit der berühmten Großen Bibliothek von Alexandria und so war es auch mit dem Alexandergrab. Wie rekonstruiert Assassin’s Creed Origins also nun das berühmteste Grabmal der Antike — ohne zu wissen, wie es wirklich ausgesehen hat? Hierfür unternahm ich mit Johannes Lipps, Professor der Klassischen Archäologie in München, einen Screenshot-Spaziergang durch die beeindruckende Rekonstruktion des Alexandergrabs, das sich zumindest laut Ubisoft im Nordosten der Stadt befunden haben soll.

Assassin's Creed® Origins
In Assassin’s Creed Origins ist das Alexandergrab unterirdisch — und befindet sich im Norden Alexandrias unter dieser prächtigen Gartenanlage.
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Wollen wir den Grabeingang erreichen, müssen wir zunächst diese eindrucksvolle Eingangshalle durchqueren, die von insgesamt drei Statuten beherrscht wird.
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Umkreisen wir die Wand, vor der die drei Statuen aufgestellt sind, entdecken wir einen Treppengang, der uns durch ein Marmor-Tor in den unterirdischen Bereich führt.
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Am Ende eines Ganges sehen wir ein wiederum in Marmor gefasstes Portal.
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Eine Nahaufnahme der überlebensgroßen Eingangstür zum Alexandergrab.
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Gekrönt wird das Portal von einem Bronzerelief, das Szenen einer Schlacht zeigt. Ein Adler, Zeichen für den Machtanspruch des römischen Imperiums, ist davor platziert und verdeckt die zentrale Szene.
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Detailansicht des linken Bronzereliefs. Die Darstellung immitiert Stilmittel historischer Reliefs, zeigt aber eine Szene, die sich offenbar an keiner bekannten Vorlage zu orientieren scheint.
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Detailansicht des rechten Bronzereliefs.
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In Assassin’s Creed Origins ist das große Portal blockiert und wir müssen einen anderen Zugangsweg finden. Hierfür brechen wir durch eine bereits beschädigte Seitenwand.
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Durch den neu geschaffenen Eingang gelangen wir in ein unterirdisches, künstliches Höhlensystem, das an eine römische Kanalisation erinnert.
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Während das Ziegel- und Steinwerk durchaus an römische Bautradition erinnert, ist die Abfolge der Räume weniger an einem historischen Nutzungshintergrund, als vielmehr an einer spielmechanischen Herausforderung orientiert.
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Einzelne Bücherregale, wie wir sie auch aus der Bibliothek von Alexandria kennen, füllen die kargen Gänge.
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Immer wieder müssen wir nach bröckelndem Mauerwerk oder Löchern in den Wänden suchen, um unseren Weg fortsetzen zu können.
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Hier geht es nur mit einem Sprung in die Dunkelheit weiter.
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Auf dem Weg zum Alexandergrab werden wiederholt unsere spielmechanischen Fähigkeiten, wie klettern oder schwimmen, abgefragt. Architektonisch Sinn ergeben diese Passagen nur bedingt.
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Dieser Raum ist komplett geflutet und muss von uns durchquert werden, damit wir schließlich über einen Seiteneingang in die große Grabkammer gelangen können, in der Alexander der Große aufgebahrt wurde.
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Der Sarkophag, in dem sich Alexander befindet, ist auf einem marmornen Altar aufgebahrt. Ein Dutzend Statuen umringen den Sarkophag, der golden schimmert.
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Dieses Schimmern soll ein Nebeneffekt des Honigs sein, mit dem der gläserne Sarkophag komplett aufgefüllt wurde, um den Leichnam zu konservieren — das zumindest sagt unsere Begleiterin im Spiel.
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Durch eine Öffnung in der Decke strahlt Licht in das Innere der Grabkammer und beleuchtet das Kopfende des Sarkophags.
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An der Wand hinter den Statuen, die den Sarkophag umgeben, finden wir einige Wandmalereien, die Szenen aus dem Leben von Alexander des Großen zeigen.
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Detail der Wandmalereien.
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Detail der Wandmalereien.
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Verlassen werden kann das Grab durch einen breiten Gang, der von weiteren Statuen gerahmt wird und schließlich zu dem Portal führt, das uns den Zugang ursprünglich versperrt hat.

Der Archäologe Johannes Lipps nennt als eines seiner Fachgebiete römische und hellenistische Architektur — und er zeigt sich von dem Ubisoftschen Rekonstruktionsversuch nur mäßig beeindruckt:

„Auf den ersten Blick ist da doch ziemlich viel falsch.“

Vor allem werden offenbar viele Architektur- und Kunststile ordentlich durcheinander geworfen. Die Wandmalereien an den Wänden der Grabkammer ordnet Lipps beispielsweise ohne zu zögern einem Stil zu, der erst rund hundert Jahre nach den Ereignissen von Assassin’s Creed Origins in Italien entstehen sollte. Die Statue im Eingangsbereich des Grabes identifziert der Experte hingegen als eine fast identische Rekonstruktion der Mars Ultor-Darstellungen — durchaus glaubwürdig, eine Kopie im ersten vorchristlichen Jahrhundert auch an dieser Stelle zu finden.

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Eine populäre Darstellung von Mars Ultor, die wir auch in Assassin’s Creed Origins regelmäßig entdecken können.

Mit seinen Eindrücken gelangt Lipps zu einem doch recht nahe liegenden Schluss. Ähnlich auch wie bei der Rekonstruktion der Großen Bibliothek von Alexandria, einem weiteren „verlorenen“ Gebäude der Stadt, scheint sich das Entwicklerteam auch beim Alexandergrab vor allem eine Frage gestellt zu haben: Wie kann dieses Grabmal rekonstruiert werden, damit es authentisch wirkt — nicht aber unbedingt authentisch ist — und sich in das Stadtbild einfügt, durch das Spieler seit Stunden gewandert sind?

Dafür zitierten die Entwickler Statuen, Wandbilder, Ornamente und detaillierte Verzierungen, die sich teilweise in der archäologischen Fundkiste befinden, teilweise aber auch frei ausgedacht sind. Dennoch: Die Rekonstruktion zeigt, wie gewissenhaft das Entwicklerteam die historischen und archäologischen Quellen studiert hat, um das Grab nicht einzig und allein nach ihrer Phantasie entwerfen zu müssen, sondern im Bedarfsfall auch aus dem Repertoire anderer Epochen und Kunststile schöpfen zu können. Hauptsache, es fühlt sich alles schön alt und antik an — und dafür wurden auch inhaltliche Fehler in Kauf genommen. Oder um es mit den Worten von Johannes Lipps zu sagen:

„Kurzum: Hat nicht so gut geklappt. Man muss aber auch tatsächlich Spezialist sein, damit einem das alles auffällt.“

Dom Schott hat Archäologie studiert und schreibt heute als freier Journalist besonders gerne über spannende Online-Communities, Netzkultur und seine zwei Kater.

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